Hat der Präsident des Tschad die Afrika-Strategie des
Westens durchschaut?
28.5.2012. Mit einer seltsamen Meldung rückt die Zeitung
„Graswurzelrevolution“ die westliche Afrikapolitik wieder in den Fokus: der
tschadische Präsident Idriss Déby plant angeblich eine Allianz mit den Tuareg,
der POLISARIO und den Islamisten.
In dem Artikel „Wo stehen die arabischen Aufstände heute?“
der Zeitschrift Graswurzelrevolution fand sich eine Meldung, die man woanders
nicht lesen konnte.
Der tschadische Präsident Idriss Déby ruft die
separatistischen Kämpfer des Nomadenvolkes der Tuareg, die den gesamten
Nordteil Mali kontrollieren und sich in der Nationalen Bewegung für die
Befreiung von Azawad (MNLA) zusammenschlossen haben, auf, eine breite
Allianz mit der radikalislamischen Terrorgruppe Al-Qaida im Islamischen
Maghreb (AQMI) und der sozialistischen Befreiungsfront der von Marokko
besetzten Westsahara, POLISARIO, mit seiner Regierung zu bilden.
Dies ist insofern ungewöhnlich, da Déby im Allgemeinen als
pro-westlich und enger Verbündeter der Franzosen gilt, auch wenn er bisweilen
eigene Interessen verfolgt. Würde diese Allianz wirklich zusammenkommen, wäre
sie mehr als bunt. Was steckt also hinter dieser Forderung?
Schauen wir uns die genannten Protagonisten einmal genauer
an;
MNLA
Die MNLA hat mit nur wenig mehr als 1.000 Kämpfern die
Regierungsarmee von Mali, die immerhin 7.000 Mann zählt, Anfang 2012 komplett
aus dem Nordteil des Landes vertrieben und in diesem ihren eigenen Staat
„Azawad“ ausgerufen. Die Tuareg wurden von Libyens langjährigem Herrscher
Muammar al-Ghaddafi unterstützt und während sie in vielen anderen Sahelstaaten
als ungeliebte Minderheit galten, waren sie in Libyen von der Regierung gern
gesehen. Zahlreiche Tuareg kämpften auf Ghaddafis Seite gegen die NATO-Invasion
2011 und gegen die von der NATO angeheuerten Söldner des sogenannten
„Nationalen Übergangsrates“ (NTC). Die Tuareg waren ohnehin gute Kämpfer – und
nun – mit den Kampferfahrungen und zahlreichen schweren Waffen aus dem
Libyen-Krieg kehrten sie in ihre Heimatgebiete nach Mali zurück und konnten die
schlecht ausgerüstete Regierungsarmee leicht in die Knie zwingen. In den von
ihnen kontrollierten Gebieten baute die MNLA Volkskomitees nach libyschen
Vorbild auf, um das tägliche Leben zu organisieren. Die Volkskomitees sind eine
„Erfindung“ des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Ghaddafi. Das läßt eine
gewisse ideologische Nähe der MNLA zu diesem vermuten, aber bewiesen ist das
nicht.
AQMI
Diese Gruppierung bezeichnet sich selbst als Ableger von
Osama bin Ladens Terrorbündnis „Al Qaida“. Allerdings ist AQMI kaum durch
Bombenanschläge aufgefallen, sondern eher durch Entführungen westlicher
Touristen und Entwicklungshelfer, die dann meistens gegen Lösegeld freigelassen
werden. Es gibt Experten, die AQMI eher als kriminelle Organisation, denn als
radikale Islamisten einstufen. Den Namen Al Qaida im Islamischen Maghreb haben
diese vorrangig in Mali und seinen Nachbarländern agierenden Gangster sich
offenbar nur gegeben, um die Weltöffentlichkeit von ihrer „Gefährlichkeit“ zu
überzeugen und das sie nicht mit sich scherzen lassen.
POLISARIO
Diese eigentlich weltbekannte Gruppe versteht sich als
sozialistisch orientierte Befreiungsbewegung und Exil-Regierung der von Marokko
annektierten Westsahara. Die POLISARIO kontrolliert ungefähr ein Drittel der
Westsahara und wird von Algerien unterstützt, wo zahlreiche Flüchtlingslager
des saharaurischen Volkes existieren und auch die Exil-Regierung, welche von
über 50 afrikanischen Staaten anerkannt wird, ihren Sitz hat. Die POLISARIO
verfügt (Angaben aus den 90iger Jahren) über 6.000 Kämpfer und 170 alte
Kampfpanzer. Auch sie wurde von Ghaddafi unterstützt, es gab hier zwischen
Libyen und Algerien sogar einen gewissen Konkurrenzkampf.
Idriss Déby
Der frühere Oberbefehlshaber der tschadischen Armee kam 1990
durch einen Bürgerkrieg mit Ghaddafis Hilfe an die Macht und stürzte den
Diktator Hissen Habré. Danach leitete er eine Demokratisierung ein, es gab
Mehrparteienwahlen und oppositionelle Medien wurden zugelassen. Trotzdem kann
man den Tschad nur bedingt als Demokratie bezeichnen, die Präsidentenpartei MPS
(Patriotische Heilsbewegung) dominiert mit ihren Satellitenparteien das
Parlament und den Staatsapparat. Déby gilt als extrem geschickter Stratege in
militärischen Fragen. Er schaffte es, sich sowohl die Unterstützung der USA,
Frankreichs, des Sudans und Libyens zu sichern und so das Land zu befrieden, da
sich diese Mächte im Tschad der 80iger Jahre einen Stellvertreterkrieg
lieferten.
Als der NATO-Krieg gegen Libyen ausbrach, schickte Déby
1.000 Soldaten zur Unterstützung Ghaddafis, von denen allerdings nur wenige
zurückkehrten.
In kritischen Medien liest man immer wieder von einer
kolonialen Rückeroberung Afrikas durch die westlichen Staaten. Diese Rückeroberung
wurde 2011 mit dem militärischen Eingreifen der NATO-Staaten in der
Elfenbeinküste und in Libyen besonders deutlich. In beiden Staaten wurden
national orientierte Regierungen durch westliches Eingreifen gestürzt und durch
Marionettenregime ersetzt. Während Libyen ein Störfaktor war, weil es die
afrikanische Unabhängigkeit und Emanzipation nach Kräften mit seinen
Erdölmilliarden förderte, war die Elfenbeinküste der größte Kaffee- und
Kakao-Exporteur des Kontinents, der von dem sturen Linksnationalisten Prof.
Laurent Gbagbo regiert wurde.
In Afrika lagern all die Rohstoffe, die das siechende
westlich-kapitalistische System benötigt, um sein Leben zu verlängern. Wir
sprechen hier von Coltan-Erz, Kupfer, Bauxit, Uran, Gold, Erdöl, Edelhölzer
u.v.m..
Regierungen, die dafür einen fairen Preis haben wollen, sind
den kränkelnden westlichen Staaten ein Dorn im Auge. Deshalb müssen sie
beseitigt werden, wenn man sich mit ihnen
nicht geschäftlich einigen kann.
In verschiedenen kritischen Online-Artikeln, die sich
ausführlicher mit der Rekolonialisierung Afrikas beschäftigen, ist häufig von
einem „Gürtel der Instabilität“ die Rede, welchen westliche Staaten zwischen
Mauretanien und Sudan – quasi in der Sahelzone - errichten wollen. Diese
Instabilität – geschaffen durch Rebellenbewegungen und „Terroristen“, ebenso
wie durch schwache Regierungen in den Sahelstaaten – soll den Vorwand bilden,
militärisch in diesen Gebieten zu intervenieren.
Wer dafür einen Beweis benötigt, der soll sein Augenmerk auf
die Abspaltung Südsudans vom Sudan werfen. Diese Sezession war nur mit
westlicher Hilfe möglich und nun besitzt der neue, vom Westen gänzlich
abhängige „Staat“ Südsudan (eine Art afrikanisches Kosovo) die meisten der
sudanesischen Ölquellen, während die nationalistisch-islamistische Regierung in
Khartum sprichwörtlich auf dem Trockenen sitzt.
Idriss Déby hat als geschickter Stratege offenbar die Pläne
des Westens erkannt. Dennoch bleibt sein Aufruf für eine Allianz des Tschad mit
AQMI, MNLA und der POLISARIO rätselhaft. Alle vier Parteien verfolgen ganz
offenkundig völlig unterschiedliche Interessen. Mit der Unterstützung von AQMI
und der MNLA würde Déby seinen Einfluß in Mali ausweiten. Das er gelegentlich
eine „Mini-Hegemonialpolitik“ betreibt, hat er schon bewiesen, als er 2003 den
Putsch in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) unterstützt hat.
Aber die POLISARIO? Bisher hatte der Tschad wenig Interesse
mit dieser Gruppierung näher zusammenzuarbeiten. Will Déby den freigewordenen
Platz Ghaddafis als Sponsor einnehmen? Schließlich sprudelt seit ein paar
Jahren das Erdöl auch im Tschad.
Will Déby die Strategie des Westens durchkreuzen? Eher
unwahrscheinlich – das kann er sich nicht trauen, denn so fest sitzt er nicht
im Sattel. 2006 und 2008 wurde seine Regierung nur durch das Eingreifen
französischer Truppen vor Rebelleneinheiten gerettet.
Will er vielleicht bloß mitmischen im Great Game um
Nordafrika? Eher möglich.
Oder bloß provozieren, um den Westen zu Zugeständnissen zu
veranlassen? Hat er jedenfalls schon öfter gemacht.
Oder diese Aufforderung, eine Allianz zu gründen, Teil eines
Planes des Grünen Widerstandes aus Libyen, dem Westen bei der
Rekolonialisierung Afrikas in die Parade zu fahren? Vergessen wir nicht: die
Tuareg, die POLISARIO und Déby waren trotz ideologischer Unterschiede alle enge
Verbündete Ghaddafis. Nur mit Al Qaida hatte Ghaddafi absolut nichts am Hut.
Das Große Spiel um Afrikas Reichtümer hat begonnen. Welt
im Blick bleibt für Sie dran.
Kay Hanisch
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