Dienstag, 29. Mai 2012


Hat der Präsident des Tschad die Afrika-Strategie des Westens durchschaut?

28.5.2012. Mit einer seltsamen Meldung rückt die Zeitung „Graswurzelrevolution“ die westliche Afrikapolitik wieder in den Fokus: der tschadische Präsident Idriss Déby plant angeblich eine Allianz mit den Tuareg, der POLISARIO und den Islamisten.

In dem Artikel „Wo stehen die arabischen Aufstände heute?“ der Zeitschrift Graswurzelrevolution fand sich eine Meldung, die man woanders nicht lesen konnte.
Der tschadische Präsident Idriss Déby ruft die separatistischen Kämpfer des Nomadenvolkes der Tuareg, die den gesamten Nordteil Mali kontrollieren und sich in der Nationalen Bewegung für die Befreiung von Azawad (MNLA) zusammenschlossen haben, auf, eine breite Allianz mit der radikalislamischen Terrorgruppe Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) und der sozialistischen Befreiungsfront der von Marokko besetzten Westsahara, POLISARIO, mit seiner Regierung zu bilden.
Dies ist insofern ungewöhnlich, da Déby im Allgemeinen als pro-westlich und enger Verbündeter der Franzosen gilt, auch wenn er bisweilen eigene Interessen verfolgt. Würde diese Allianz wirklich zusammenkommen, wäre sie mehr als bunt. Was steckt also hinter dieser Forderung?
Schauen wir uns die genannten Protagonisten einmal genauer an;

MNLA

Die MNLA hat mit nur wenig mehr als 1.000 Kämpfern die Regierungsarmee von Mali, die immerhin 7.000 Mann zählt, Anfang 2012 komplett aus dem Nordteil des Landes vertrieben und in diesem ihren eigenen Staat „Azawad“ ausgerufen. Die Tuareg wurden von Libyens langjährigem Herrscher Muammar al-Ghaddafi unterstützt und während sie in vielen anderen Sahelstaaten als ungeliebte Minderheit galten, waren sie in Libyen von der Regierung gern gesehen. Zahlreiche Tuareg kämpften auf Ghaddafis Seite gegen die NATO-Invasion 2011 und gegen die von der NATO angeheuerten Söldner des sogenannten „Nationalen Übergangsrates“ (NTC). Die Tuareg waren ohnehin gute Kämpfer – und nun – mit den Kampferfahrungen und zahlreichen schweren Waffen aus dem Libyen-Krieg kehrten sie in ihre Heimatgebiete nach Mali zurück und konnten die schlecht ausgerüstete Regierungsarmee leicht in die Knie zwingen. In den von ihnen kontrollierten Gebieten baute die MNLA Volkskomitees nach libyschen Vorbild auf, um das tägliche Leben zu organisieren. Die Volkskomitees sind eine „Erfindung“ des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Ghaddafi. Das läßt eine gewisse ideologische Nähe der MNLA zu diesem vermuten, aber bewiesen ist das nicht.

AQMI

Diese Gruppierung bezeichnet sich selbst als Ableger von Osama bin Ladens Terrorbündnis „Al Qaida“. Allerdings ist AQMI kaum durch Bombenanschläge aufgefallen, sondern eher durch Entführungen westlicher Touristen und Entwicklungshelfer, die dann meistens gegen Lösegeld freigelassen werden. Es gibt Experten, die AQMI eher als kriminelle Organisation, denn als radikale Islamisten einstufen. Den Namen Al Qaida im Islamischen Maghreb haben diese vorrangig in Mali und seinen Nachbarländern agierenden Gangster sich offenbar nur gegeben, um die Weltöffentlichkeit von ihrer „Gefährlichkeit“ zu überzeugen und das sie nicht mit sich scherzen lassen.

POLISARIO

Diese eigentlich weltbekannte Gruppe versteht sich als sozialistisch orientierte Befreiungsbewegung und Exil-Regierung der von Marokko annektierten Westsahara. Die POLISARIO kontrolliert ungefähr ein Drittel der Westsahara und wird von Algerien unterstützt, wo zahlreiche Flüchtlingslager des saharaurischen Volkes existieren und auch die Exil-Regierung, welche von über 50 afrikanischen Staaten anerkannt wird, ihren Sitz hat. Die POLISARIO verfügt (Angaben aus den 90iger Jahren) über 6.000 Kämpfer und 170 alte Kampfpanzer. Auch sie wurde von Ghaddafi unterstützt, es gab hier zwischen Libyen und Algerien sogar einen gewissen Konkurrenzkampf.

Idriss Déby

Der frühere Oberbefehlshaber der tschadischen Armee kam 1990 durch einen Bürgerkrieg mit Ghaddafis Hilfe an die Macht und stürzte den Diktator Hissen Habré. Danach leitete er eine Demokratisierung ein, es gab Mehrparteienwahlen und oppositionelle Medien wurden zugelassen. Trotzdem kann man den Tschad nur bedingt als Demokratie bezeichnen, die Präsidentenpartei MPS (Patriotische Heilsbewegung) dominiert mit ihren Satellitenparteien das Parlament und den Staatsapparat. Déby gilt als extrem geschickter Stratege in militärischen Fragen. Er schaffte es, sich sowohl die Unterstützung der USA, Frankreichs, des Sudans und Libyens zu sichern und so das Land zu befrieden, da sich diese Mächte im Tschad der 80iger Jahre einen Stellvertreterkrieg lieferten.
Als der NATO-Krieg gegen Libyen ausbrach, schickte Déby 1.000 Soldaten zur Unterstützung Ghaddafis, von denen allerdings nur wenige zurückkehrten.


In kritischen Medien liest man immer wieder von einer kolonialen Rückeroberung Afrikas durch die westlichen Staaten. Diese Rückeroberung wurde 2011 mit dem militärischen Eingreifen der NATO-Staaten in der Elfenbeinküste und in Libyen besonders deutlich. In beiden Staaten wurden national orientierte Regierungen durch westliches Eingreifen gestürzt und durch Marionettenregime ersetzt. Während Libyen ein Störfaktor war, weil es die afrikanische Unabhängigkeit und Emanzipation nach Kräften mit seinen Erdölmilliarden förderte, war die Elfenbeinküste der größte Kaffee- und Kakao-Exporteur des Kontinents, der von dem sturen Linksnationalisten Prof. Laurent Gbagbo regiert wurde.

In Afrika lagern all die Rohstoffe, die das siechende westlich-kapitalistische System benötigt, um sein Leben zu verlängern. Wir sprechen hier von Coltan-Erz, Kupfer, Bauxit, Uran, Gold, Erdöl, Edelhölzer u.v.m..
Regierungen, die dafür einen fairen Preis haben wollen, sind den kränkelnden westlichen Staaten ein Dorn im Auge. Deshalb müssen sie beseitigt werden, wenn man sich mit ihnen  nicht geschäftlich einigen kann.

In verschiedenen kritischen Online-Artikeln, die sich ausführlicher mit der Rekolonialisierung Afrikas beschäftigen, ist häufig von einem „Gürtel der Instabilität“ die Rede, welchen westliche Staaten zwischen Mauretanien und Sudan – quasi in der Sahelzone - errichten wollen. Diese Instabilität – geschaffen durch Rebellenbewegungen und „Terroristen“, ebenso wie durch schwache Regierungen in den Sahelstaaten – soll den Vorwand bilden, militärisch in diesen Gebieten zu intervenieren.
Wer dafür einen Beweis benötigt, der soll sein Augenmerk auf die Abspaltung Südsudans vom Sudan werfen. Diese Sezession war nur mit westlicher Hilfe möglich und nun besitzt der neue, vom Westen gänzlich abhängige „Staat“ Südsudan (eine Art afrikanisches Kosovo) die meisten der sudanesischen Ölquellen, während die nationalistisch-islamistische Regierung in Khartum sprichwörtlich auf dem Trockenen sitzt.

Idriss Déby hat als geschickter Stratege offenbar die Pläne des Westens erkannt. Dennoch bleibt sein Aufruf für eine Allianz des Tschad mit AQMI, MNLA und der POLISARIO rätselhaft. Alle vier Parteien verfolgen ganz offenkundig völlig unterschiedliche Interessen. Mit der Unterstützung von AQMI und der MNLA würde Déby seinen Einfluß in Mali ausweiten. Das er gelegentlich eine „Mini-Hegemonialpolitik“ betreibt, hat er schon bewiesen, als er 2003 den Putsch in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) unterstützt hat.

Aber die POLISARIO? Bisher hatte der Tschad wenig Interesse mit dieser Gruppierung näher zusammenzuarbeiten. Will Déby den freigewordenen Platz Ghaddafis als Sponsor einnehmen? Schließlich sprudelt seit ein paar Jahren das Erdöl auch im Tschad.

Will Déby die Strategie des Westens durchkreuzen? Eher unwahrscheinlich – das kann er sich nicht trauen, denn so fest sitzt er nicht im Sattel. 2006 und 2008 wurde seine Regierung nur durch das Eingreifen französischer Truppen vor Rebelleneinheiten gerettet.

Will er vielleicht bloß mitmischen im Great Game um Nordafrika? Eher möglich.

Oder bloß provozieren, um den Westen zu Zugeständnissen zu veranlassen? Hat er jedenfalls schon öfter gemacht.

Oder diese Aufforderung, eine Allianz zu gründen, Teil eines Planes des Grünen Widerstandes aus Libyen, dem Westen bei der Rekolonialisierung Afrikas in die Parade zu fahren? Vergessen wir nicht: die Tuareg, die POLISARIO und Déby waren trotz ideologischer Unterschiede alle enge Verbündete Ghaddafis. Nur mit Al Qaida hatte Ghaddafi absolut nichts am Hut.

Das Große Spiel um Afrikas Reichtümer hat begonnen. Welt im Blick bleibt für Sie dran.



Kay Hanisch

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